Geburt ist Physiologie – Pathologie ist die Ausnahme
Ein Text von Dr. Bärbel Basters – Hoffmann:
Unsere gesellschaftliche Realität ist geprägt vom Glauben an die Überlegenheit der Technik und von der Illusion des Machbaren.
Geburtshelfer erleben in ihrer Ausbildung eine Orientierung auf Risiko und auf Pathologie.
Es ist nicht einfach, sich in diesem Umfeld zu einer Geburtshilfe zu bekennen, die grundsätzlich auf die Weisheit der Natur vertraut und sich als Unterstützer physiologischer Prozesse versteht.
Als Geburtshelfer die eigene Rolle finden
Es ist auch nicht einfach, die eigene Rolle zu finden, da sich unsere Professionalität zunächst einmal nicht darin abbildet, Macher, Bestimmer und Entscheider zu sein, sondern mit unserer Ruhe und Erfahrung im Hintergrund bereit zu sein.
„Man muss viel wissen, um wenig zu tun“, Pschyrembel.
Unsere wichtigste Aufgabe ist es, geschützte Räume zum Gebären zu schaffen.
Frauen brauchen zum Gebären – so wie übrigens ausnahmslos alle anderen Säugetiermütter auch – ganz vorrangig Ungestörtheit.
Nur so kann sich die hormonelle Situation entwickeln und erhalten, die Wehenbeginn, koordinierte Wehentätigkeit und schließlich Geburt des Kindes ermöglicht.
Diese hormonelle Lage der Frau ist außerordentlich leicht zu stören. Da kann schon ein kritischer Blick auf´s CTG oder eine unbedachte Bemerkung zur Kollegin genügen. Ist uns das bewusst, können wir sensibler damit umgehen.
Wir alle kennen die Geburten, in denen es nach einer ersten Intervention zu einer Interventionskaskade kommt, die dann in völlig pathologisierter Geburt endet.
Also sind wir gefordert, zunächst jeden Eingriff in den physiologischen Ablauf sorgfältig zu indizieren und abzuwägen, ob wir mehr nützen als schaden.
Schon die regelmäßige vaginale Untersuchung ist ein Eingriff in den Ablauf der Geburt
Als Eingriff ist dabei schon das regelmäßige vaginale Untersuchen zur Kontrolle des Geburtsfortschrittes zu werten. „Mangelnder Geburtsfortschritt“ oder „protrahierter Verlauf“ sind sehr unscharfe Begriffe und dazu angetan, das Selbstverständnis der Gebärenden zu erschüttern und uns in Zugzwang zu bringen.
Der Umgang mit besonderen und pathologischen Situationen ist leichter zu beschreiben und besser zu standardisieren, als eine grundsätzliche Haltung zur Geburt.
Sicherheit bei der Geburt entsteht durch menschlich-fachliche Begleitung und nicht durch Interventionen.
Die aktuelle Forschung über das Gebären und unsere eigenen Erfahrungen zeigen uns aber, dass die wichtigsten Sicherheitsfaktoren im Kreißsaal in einer möglichst kontinuierlichen menschlich-fachlichen Begleitung und einer strengen Indizierung von Interventionen besteht.
Geburt ist Physiologie und Pathologie ist die Ausnahme.
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